Rund 6,2 Millionen Menschen in Deutschland sind laut der LEO-Studie aus dem Jahr 2018 „gering literalisiert“ und können höchstens einfache Sätze lesen und schreiben. Lesen und Schreiben sind allerdings wichtige Kompetenzen, um selbständig am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können – Betroffene sind in vielen Lebensbereichen wie u.a. Kommunikation, Gesundheit oder Mobilität durch die Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben stark eingeschränkt. Da das Thema noch immer sehr schambehaftet ist, verstecken Betroffene ihre Schwäche oft und fühlen sich ausgeschlossen und stigmatisiert. Die Bewältigung von beruflichen oder privaten schriftsprachlichen Situationen ist meist nur durch die Hilfe einer mitwissenden Person möglich und führt Betroffene in ein Abhängigkeitsverhältnis. Sie finden oft erst die Motivation zum Kursbesuch, wenn sich Lebensumstände ändern, sie durch Trennung oder Erkrankung in eine Lebenskrise geraten oder sie beruflich weiterkommen möchten. Aber: Auch im Erwachsenenalter kann das Lesen und Schreiben noch verbessert bzw. erlernt werden. Dafür bieten Volkshochschulen und andere Bildungsträger Kurse und niedrigschwellige Grundbildungsangebote an.
Ziel des Projekts ALFA-Mobil
Lediglich rund 0,7% der Betroffenen in Deutschland lernen jedoch in solchen Kursen. Klassische schriftliche Mittel der Öffentlichkeitsarbeit wie Programmhefte oder Flyer erreichen die Zielgruppe kaum und so haben Betroffene häufig kein Bild davon, wie Grundbildungsangebote genau aussehen und wie eine Teilnahme funktionieren kann. Um gering literalisierte Personen gezielt zu erreichen und in diese Grundbildungsangebote zu vermitteln, kooperiert das ALFA-Mobil mit Bildungsträgern vor Ort und bewirbt in der aufsuchenden Beratung deren Angebote. In der Beratungsarbeit am ALFA-Mobil-Infostand wird der Kontakt sowohl zu Betroffenen direkt als auch zu ihrem mitwissenden Umfeld gesucht. Hemmungen von Betroffenen können in individuellen Gesprächen abgebaut und ein direkter Kontakt zu den Kursanbietern vor Ort hergestellt werden. Darüber hinaus finden sie am Stand leicht lesbare Lektüre sowie Ansichtsexemplare von unterschiedlichen Unterrichtsmaterialien. Auch Menschen aus der allgemeinen Bevölkerung werden mit Sprachrätseln, Rechtschreib-Quizzen oder Stadt-Land-Fluss-Spielen am Glücksrad zum Thema funktionalem Analphabetismus aufgeklärt und können dabei noch kleine Preise gewinnen. Um Beratungsleistungen bei Multiplikatorinnen und Multiplikatoren (z.B. Mitarbeitenden von Jobcentern oder in der Sozialberatung) in Kontakt mit Betroffenen zu ermöglichen bzw. zu verbessern, bietet das ALFA-Mobil online oder in Präsenz auch detaillierte und praxisorientierte Sensibilisierungsschulungen an. Ein wesentliches Ziel des Projekts ist darüber hinaus die Enttabuisierung des Themas. Hierzu wird im Projekt mit Lernbotschaftern und Lernbotschafterinnen – (ehemaligen) Betroffenen – zusammengearbeitet, die über ihren Lebensweg und den Weg in den Lese- und Schreibkurs berichten und dem abstrakt klingenden Thema „Geringe Literalität“ so ein konkretes Gesicht geben. Sie sind immer aktiv bei Aktionen oder Sensibilisierungsschulungen eingebunden.
Der Kontext
Das Projekt ALFA-Mobil wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert und ist beim Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung e.V. angesiedelt, der das aus TV-Spots bekannte ALFA-Telefon bedient, die bundesweit größte Kursdatenbank für Grundbildungsangebote führt und mit weiteren Projekten wie ALFA-Media oder ALFA-Bot aktiv die Alphabetisierungsarbeit in Deutschland gestaltet. Die Projekte gliedern sich thematisch in den Rahmen der seit 2015 laufenden Nationalen Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung (AlphaDekade) ein, in der zentrale gesellschaftliche Akteure in zahlreichen Projekten und Maßnahmen zusammenarbeiten, um die Lese- und Schreibkompetenz von Erwachsenen in Deutschland zu verbessern.